DISKUSSION: KUNST – STANDORT – KATASTROPHE


Die Diskussionsrunde von links nach rechts: Martina Padberg, Fatima Hellberg, Susanne Grube, Ros Sachsse-Schadt, Grit Ruhland
DISKUSSION: KUNST – STANDORT – KATASTROPHE

Bei der ersten Veranstaltung nach der Ausstellungseröffnung diskutieren Kunsthistorikerinnen, Ausstellungsmacherinnen und Künstlerinnen über die Rolle von Kunst und Ausstellung im Zeitalter der Krisen und Katastrophen:

Fatima Hellberg (Leiterin Bonner Kunstverein)

Martina Padberg (Leiterin Kunstmuseum Ahlen)

Grit Ruhland (Künstlerin)

Ros Sachsse-Schadt (Kulturpolitikerin, Kunsthistorikerin)

Das Gespräch wird moderiert von: Susanne Grube (Leiterin Künstlerforum Bonn)

Das Gespräch ist aufgezeichnet und leicht gekürzt über den Videolink erreichbar.


REDRAW TRAGEDY regt zu der Auseinandersetzung darüber an, wie sich Krisen auf die Kunstproduktion und -rezeption auswirken, wie Kunst andererseits an deren Bewältigung beteiligt sein kann. Eine Suche hat begonnen.

Krisen und Katastrophen nehmen selbst in einem reichen Land wie Deutschland eine scheinbar sichere und geordnete Welt zunehmend gefangen. Das Zutrauen vieler in technischen Fortschritt und materiellen Wohlstand, so verlockend und beruhigend es sein mag, wird von einem wachsenden Unbehagen bedrängt. Denn der „11. September“, die „Bankenkrise“, die „Flüchtlingskrise“, die „Klimakatastrophe“, die „Corona-Pandemie“ tauchen nicht nur als fragwürdige Schlagworte mit unterschiedlicher Vergänglichkeit in den Medien auf, sondern sie sind wie die Spitzen von Eisbergen, die auf tieferliegende Problematiken hinweisen. Deren Auswirkungen greifen unmittelbar sowie langfristig in den Alltag ein.

Alles schon gehört?

Angesichts der globalisierten Probleme mit fast undurchdringlicher Komplexität fehlen große Entwürfe. Aber der Versuch, individuell Alternativen zu finden, überfordert ebenfalls. Schon die Standortbestimmung fällt schwer. Sowohl Wissenschaft als auch Wahrnehmung können Täuschungen unterliegen. Oft ist es eine Frage der Perspektive oder von Macht, was als richtig oder falsch definiert wird.

Verwandte Fragestellungen wurden und werden immer wieder in der Kunst verhandelt. Gelten doch Künstler:innen als sensible Beobachter:innen, die diese Haltung weitergeben können. Zeitgenössische Werke dürfen irritieren. Aus diesen Quellen lässt sich manchmal auch Mut schöpfen. Schon der künstlerische Schaffensprozess bedeutet ein Wagnis, denn er trägt die Möglichkeit des Scheiterns in sich. Persönliche Krisen können inspirieren, weil sie im Moment des Schwankens Neues hervorbringen lassen, dessen Qualitäten sich als Zukünftiges entfalten.

In der Kunsttherapie hilft Kreativität Traumata zu verarbeiten. Partizipatorische Kunstprojekte unterstützen gemeinsames Handeln und fördern – ideal gedacht – Toleranz.

Es geht also nicht nur um Inhalte, sondern genauso um Strategien, die erdacht und erprobt werden und damit verknüpft, die sich wandelnde Wertschätzung, die sie erfahren können.

„Experten für die Zukunft“ nennt Elke Buhr in der November-Ausgabe 2019 des Monopol-Magazins Künstlerinnen und Künstler. Im begleitenden Katalog zu „RE//SET – KRISE//CHANCE“ betont Martina Padberg die „(auch) heilsame“ Wirkung, wenn Kunstwerke in Grenzbereiche von Bedrohung und Angst führen.  Kristina Scepanski spricht in einem Interview der WDR-Sendung „Mosaik“ anlässlich der Ausstellung „Nimmersatt?“ (27.11.21 – 27.2.2022) im Westfälischen Kunstverein von Kunst als „Umdenkhilfe“.

Welche Rolle kann die Kunst dabei spielen, Dystopien in Utopien zu verwandeln? Welche Rolle will der Kunstbetrieb in der Gesellschaft übernehmen, wenn es darum geht, verantwortlich zu handeln? Wieweit wollen Künstler:innen gehen, um vermeintlich relevant zu bleiben? Wie frei ist die Kunst?

Kulturschaffende verfügen über ein wertvolles Potential. Und natürlich lieben wir die Kunst. Aber wenn wir diesen Schatz nicht nur hüten wollen, müssen wir dennoch behutsam damit umgehen.

Während der Unsicherheit in der anhaltenden Corona-Pandemie hat die Ruhigstellung im Kunstbetrieb viele nachdenkliche Stimmen hervorgebracht. Es wurde das, was bereits länger schwelte, nachdrücklicher und mehr. Eine beeindruckende Fülle von Veranstaltungen und Ausstellungen zeugt davon. Das Projekt „Redraw Tragedy“ steht schon seit 2019 im Programm des Künstlerforums Bonn. Es ist nicht das erste Mal, dass thematische Ausstellungen mit einer steigenden Aktualität konfrontiert werden. Vieles möchten wir diskutieren und dabei über den eigenen Tellerrand hinausblicken.

(Text: Susanne Grube, Nov. 2021)